Das Linienintegral

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Das Linienintegral einer skalaren Größe

Näherung für die Herleitung des Linienintegrals

Das Linien- oder Kurvenintegral beschreibt eine Integration entlang einer (gerichteten) Kontur C, z. B. von einem Anfangspunkt P_A bis zu einem Endpunkt P_B. Dabei gibt es nur eine Integrationsvariable. Bei einer Integration entlang der x-Achse ist das zugehörige Differential beispielsweise durch \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}=\mathrm{d}x\,\vec{\textbf{e}}_x gegeben. Handelt es sich bei dem Integrationsweg C um eine geschlossene Kontur, d. h. der Anfangs- und Endpunkt fallen zusammen (P_A = P_B), wird das Linienintegral als Ring- oder Umlaufintegral bezeichnet und das Integralzeichen wird mit einem Ring dargestellt.

Das Linienintegral wird benötigt, wenn eine (ggf. vektorielle) Funktion von mehreren Variablen abhängt und entlang einer (im Allgemeinen nicht geradlinigen) Kontur zu integrieren ist. Dies ist zum Beispiel beim Durchflutungsgesetz (vgl. Erweiterung der Integralrechnung:Übersicht) der Fall. Prinzipiell handelt es sich um eine Erweiterung der Integralrechnung mit einer skalaren Funktion und nur einer Integrationsvariablen.

Zur Herleitung des Linienintegrals wird exemplarisch eine von zwei Variablen abhängige Funktion f(x,y) betrachtet, die entlang einer Kurve zwischen den Punkten P_A und P_B integriert werden soll (siehe Abbildung). Hierzu wird die Kontur zunächst in n Teilstücke zerlegt. Dabei wird die Länge des i-ten Teilstücks mit \Delta s_i bezeichnet. Auf einem solchen i-ten Teilstück kann der jeweilige Funktionswert f(x_i,y_i) als näherungsweise konstant angenommen werden. Dadurch lässt sich ein Näherungswert für das Linienintegral dadurch angeben, dass die Produkte der Funktionswerte und den Längen der Teilstücke aufsummiert werden:


\int\limits_{P_A}^{P_B} f(x, y) \mathrm{d}s \approx \sum_{i=1}^n f(x_i, y_i) \Delta s_i

Es wurde bereits beschrieben, dass die Funktionswerte f(x_i,y_i) auf den Teilstücken als näherungsweise konstant angenommen werden können. Die Näherung ist dabei umso genauer, je kleiner die Teilstücke gewählt werden. Daher wird zu infinitesimal kleinen Teilstücken (\Delta s_i\to 0) übergangen, von denen es dann unendlich viele gibt (n\to\infty). Auf diese Weise erhält man das entsprechende Linienintegral:


\int\limits_{P_A}^{P_B} f(x, y) \mathrm{d}s 
= \lim_{n\to\infty,\,\Delta s_i \to 0}\sum_{i=1}^n f(x_i, y_i) \Delta s_i .

Für eine möglichst einfache Lösung der Integrale bietet sich die Verwendung eines auf den jeweiligen Anwendungsfall „zugeschnittenen“ Koordinatensystems an.

Beispiel: Berechnung der Gesamtladung einer Linienladung
Linienladung entlang der x-Achse

In diesem Beispiel werden verschiedene Fälle einer gegebenen Linienladung betrachtet. Bei einer Linienladung handelt es sich um eine Ladungsanordnung entlang einer Kontur. Dabei gibt die Linienladungsdichte \lambda die Ladungsmenge pro Streckenabschnitt an. Um die gesamte Ladung entlang einer Kontur berechnen zu können, muss die Linienladungsdichte entlang der jeweiligen Kontur integriert werden:


Q=\int_C\lambda\cdot\mathrm{d}s

Fall 1: Konstante und geradlinig angeordnete Linienladung

Bei einer konstanten und entlang der x-Achse geradlinig angeordneten Linienladung berechnet sich die Gesamtladung mit \mathrm{d}s = \mathrm{d}x (vgl. Wegelemente) wie folgt:


Q=\int_0^l\lambda\cdot\mathrm{d}x=\left.\lambda\cdot s\right|_0^l=\lambda\cdot l

Aufgrund der konstanten Linienladungsdichte kann die Gesamtladung folglich auch sofort ohne die Integration angegeben werden.

Fall 2: Ortsabhängige und geradlinig angeordnete Linienladung

Handelt es sich bei der Linienladungsdichte um eine ortsabhängige Größe, so kann das Ergebnis nicht einfach durch die Multiplikation dieser Größe mit der Strecke angegeben werden. Betrachtet wird zum Beispiel eine linear zunehmende Linienladungsdichte:


\lambda(x) = \eta_0\,x
Linienladung entlang eines Viertelkreisbogens

Dabei ist \eta_0 eine Konstante mit der Einheit \mathrm{As}/\mathrm{m}^2 (ansonsten hätte \lambda(x) keine zu einer Linienladungsdichte passende Einheit \mathrm{As}/\mathrm{m}). Die Linienladungsdichte wird also entlang der x-Achse größer. Setzt man diese ortsabhängige Linienladungsdichte in das Integral ein, so folgt:


Q=\int_0^l \eta_0\,x\,\mathrm{d}x = \eta_0 \int_0^l x\,\mathrm{d}x = \eta_0 \left.\frac{x^2}{2}\right|_0^l = \eta_0\frac{l^2}{2}

Fall 3: Konstante und krummlinig angeordnete Linienladung

In diesem Fall wird eine Linienladung in Form eines Viertelkreisbogens betrachtet. Da die Linienladungsdichte wieder konstant ist, muss diese zur Bestimmung der Gesamtladung lediglich mit der Länge dieses Viertelkreisbogens multipliziert werden. Dazu ist ein Übergang zu den Zylinderkoordinaten zweckmäßig. Mit \mathrm{d}s = \rho\mathrm{d}\varphi (vgl. Wegelemente) folgt:


Q = \int_0^{\pi/2} \lambda\,\rho\mathrm{d}\varphi = \lambda\rho\frac{\pi}{2}

Das verwendete Integral dient der Anschauung, alternativ kann die Länge des Viertelkreisbogens auch direkt als ein Viertel des Kreisumfangs angegeben werden.

Das Linienintegral einer vektoriellen Größe

Linienintegral einer vektoriellen Größe

Linienintegrale treten häufig auch in vektorieller Form auf. Dabei ist eine vektorielle Funktion, z. B. \vec{\textbf{E}}(x,y,z), entlang einer ebenfalls gerichteten Kontur mit den Wegelementen \mathrm{d}\vec{\textbf{s}} zu integrieren. Im Vergleich zum skalarwertigen Linienintegral ist also zusätzlich das Skalarprodukt \vec{\textbf{E}}\cdot\mathrm{d}\vec{\textbf{s}} für jedes Wegelement \mathrm{d}\vec{\textbf{s}} zu bestimmen. Aufgrund der Projektionseigenschaft das Skalarprodukts wird nur die jeweils tangential zum Wegelement verlaufende Kompotente des Vektors \vec{\textbf{E}} integriert. Für die weitere Herleitung wird ansonsten wie im skalarwertigen Fall verfahren.

Die Kontur wird nun in n vektorielle Teilstücke zerlegt, wobei das i-te Teilelement mit \Delta \vec{\textbf{s}}_i bezeichnet wird. Auf einem solchen i-ten Teilstück kann der jeweilige Funktionswert \vec{\textbf{E}}(x_i,y_i,z_i) als näherungsweise konstant angenommen werden. Damit gilt für das Skalarprodukt bezogen auf das i-te Teilstück:


\vec{\textbf{E}}(x_i, y_i, z_i) \cdot\Delta\vec{\textbf{s}}_i = \left| \vec{\textbf{E}}(x_i, y_i, z_i) \right| \left|\Delta\vec{\textbf{s}}_i\right|\cos(\alpha_i)

Damit folgt für das Linienintegral:


\int\limits_{P_A}^{P_B}\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}} = \lim_{n\to\infty,\,\Delta s_i \to 0}\sum_{i=1}^n \left|\vec{\textbf{E}}(x_i, y_i, z_i)\right|\left|\Delta\vec{\textbf{s}}_i\right|\cos(\alpha_i)

Für eine möglichst einfache Lösung der Integrale bietet sich auch hier die Verwendung eines auf den jeweiligen Anwendungsfall „zugeschnittenen“ Koordinatensystems an.

In der Lehrveranstaltung können derartige Integralberechnungen in der Regel auf zwei Spezialfälle reduziert werden.

Fall 1: Beide Vektoren verlaufen parallel (\vec{\textbf{E}}\parallel\mathrm{d}\vec{\textbf{s}}): In diesem Fall liefert das Skalarprodukt der zugehörigen Vektoren den Wert Eins. Damit wird das Integral wieder skalarwertig.

Fall 2: Beide Vektoren stehen senkrecht aufeinander (\vec{\textbf{E}}\perp\mathrm{d}\vec{\textbf{s}}): In diesem Fall liefert das Skalarprodukt der zugehörigen Vektoren den Wert Null und das Integral verschwindet.

Beispiel: Spannung im elektrischen Feld
Spannungsberechnung in einem homogenen elektrischen Feld

Ein häufiger Anwendungsfall des Linienintegrals ergibt sich bei der Bestimmung der Spannung in einem elektrischen Feld. In diesem Beispiel wird die ortsunabhängige elektrische Feldstärke \vec{\textbf{E}} betrachtet. Diese wird nun entsprechend der in der Abbildung eingezeichneten geschlossenen Kontur integriert:


U=\oint\limits_C\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\mathbf{s}}

Um dieses Integral zu lösen, können vier Fälle unterschieden werden:
Die Strecke P_1 bis P_2, die in die Richtung des elektrischen Feldes verläuft.
Die Strecke P_3 bis P_4, die entgegen des elektrischen Feldes verläuft.
Die Strecken P_2 bis P_3 sowie P_4 bis P_1, die senkrecht zu dem elektrischen Feld verlaufen.

Das Integral kann in diese vier Bereiche geteilt und das jeweilige Skalarprodukt ausgewertet werden:


U=\int\limits_{P_1}^{P_2}\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}+\int\limits_{P_2}^{P_3}\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}+\int\limits_{P_3}^{P_4}\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}+\int\limits_{P_4}^{P_1}\vec{\textbf{E}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}

Daraus folgt:


U=|\vec{\textbf{E}}|\cdot |(P_2-P_1)|\cdot \underbrace{\cos{0}}_{=1}+|\vec{\textbf{E}}|\cdot|P_3-P_2|\cdot\underbrace{\cos{\frac{\pi}{2}}}_{=0}+|\vec{\textbf{E}}|\cdot|P_3-P_4|\cdot\underbrace{\cos{\pi}}_{=-1}+|\vec{\textbf{E}}|\cdot|P_1-P_4|\cdot\underbrace{\cos{\frac{\pi}{2}}}_{=0}

Aufgrund der eingeschlossenen rechten Winkel verbleibt:


U=|\vec{\textbf{E}}|\cdot |(P_2-P_1)|-|\vec{\textbf{E}}|\cdot|P_3-P_4|

Da hier die Strecken zwischen P_1 und P_2 sowie P_3 und P_4 betragsmäßig gleich sind, folgt aus dieser Betrachtung:

 
U = 0

Dies ist eine wichtige Erkenntnis im elektrostatischen Feld: Das Ringintegral ergibt hier immer Null.

Beispiel: Rollende Kugel in einer Laufrinne
Bewegungsvorgang im Kraftfeld

In diesem mechanischen Beispiel ist die Arbeit W gesucht, die an einer Kugel verichtet wird, welche infolge einer Kraft \vec{\textbf{F}} eine Laufrinne hinunterrollt:


W=\int\limits_{P_A}^{P_B}\vec{\textbf{F}}\cdot \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}

Die Laufrinne ist halbkreisförmig und beginnt am Anfangspunkt P_A und endet am Endpunkt P_B. Dabei wirkt eine ortsunabhängige (konstante) Kraft \vec{\textbf{F}} in Richtung der Verbindungslinie der beiden Punkte (siehe Abbildung).

Der Bewegungsvorgang der Kugel lässt sich am einfachsten in Zylinderkoordinaten mit dem Koordinatenursprung im Mittelpunkt des Kreises beschrieben. Dabei bewegt sich die Kugel in Richtung wachsender \varphi-Werte auf einem Halbkreis mit konstantem Radius \rho = a.

Die vorgegebene Kraft lässt sich am einfachsten in kartesischen Koordinaten beschreiben:


\vec{\textbf{F}}=F_y\,\vec{\textbf{e}}_y

Mit \mathrm{d}\vec{\textbf{s}}=\vec{\textbf{e}}_\varphi\,a\mathrm{d}\varphi folgt also zunächst:


W = \int\limits_{-\pi/2}^{\pi/2}F_y\,\vec{\textbf{e}}_y\cdot \vec{\textbf{e}}_\varphi\,a\mathrm{d}\varphi

Wandelt man nun noch den Einheitsvektor \vec{\textbf{e}}_y in Zylinderkoordinaten um (vgl. Formelsammlung Koordinatensysteme), so folgt:


W = aF_y \int\limits_{-\pi/2}^{\pi/2}\underbrace{(\vec{\textbf{e}}_\rho\sin\varphi+\vec{\textbf{e}}_\varphi\cos\varphi)}_{\vec{\textbf{e}}_y}\cdot\vec{\textbf{e}}_\varphi \mathrm{d}\varphi = a F_y \int\limits_{-\pi/2}^{\pi/2}\cos\varphi \mathrm{d}\varphi = 2 a F_y

Multimediale Lehrmaterialien

Multimedia.png

http://www.dangries.com/Flash/IntegralSketch/IntegralSketch.html Applet zum Verständnis von Integralen

Literatur

  • Dr. Thomas Hempel, Mathematische Grundlagen, Linienintegral, Vorlesungsskript, Universität Magdeburg, 2010
  • TU Freiberg, Parameter- und Kurvenintegrale, Script, 2010