Getb:Vorgehen zur Lösung linearer Differenzialgleichungen 2. Ordnung

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Gegeben sei eine inhomogene, lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Diese DGL lässt sich allgemein schreiben als:

 y''(t)+a \cdot y'(t)+b \cdot y(t)=g(t)

Wobei  a und  b Konstanten sind. Die Lösung erfolgt genauso wie die Lösung einer DGL 1. Ordnung in vier Schritten:

  1. Lösung der dazugehörigen homogenen DGL
  2. Finden einer partikulären Lösung der inhomogenen DGL
  3. Addieren der beiden Lösungen liefert die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL
  4. Berücksichtigung von Anfangsbedingungen


Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung

Die zur inhomogenen DGL dazugehörige homogene DGL lautet:

 y''(t)+a \cdot y'(t)+b \cdot y(t)=0

Die allgemeine Lösung einer Differenzialgleichung 2. Ordnung enthält zwei Parameter. Im Falle einer linearen DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten ist die allgemeine Lösung eine Linearkombination von zwei linear unabhängigen partikulären Lösungen. Die Koeffizienten der partikulären Lösungen sind die beiden Parameter. Formal gilt dann für die allgemeine Lösung:

 y(t)=K_1 \cdot y_1(t)+K_2 \cdot y_2(t) mit K_1,K_2 \in \R , wobei weiterhin gelten muss:

  • y_1''(t)+a\cdot y_1'(t)+b \cdot y_1(t)=0	     (y1 ist partikuläre Lösung der homogenen DGL)
  • y_2''(t)+a\cdot y_2'(t)+b \cdot y_2(t)=0	     (y2 ist partikuläre Lösung der homogenen DGL)
  •  y_1 und  y_2 sind linear unabhängig

Beide Lösungen müssen also die DGL erfüllen und linear unabhängig sein. Allgemein gilt, dass die Lösungen  y_1 und  y_2 auch komplexwertig sein können.

Zwei linear unabhängige partikuläre Lösungen lassen sich mit Hilfe des komplexen Exponentialansatzes  y(t)=\underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} finden. Hierbei ist zu beachten, dass mit  \underline{K} schon eine Konstante (bzw. ein Parameter) in den Ansatz eingebracht wurde. Der Unterstrich unter dem  \underline{K} deutet an, dass  \underline{K} komplexe Werte annehmen kann. Auch die Variable  s kann komplexe Werte annehmen, wird üblicherweise aber nicht unterstrichen. Für den Fall, dass  s komplexe Werte annimmt, wird der Ausdruck der e-Funktion selbst auch eine komplexe Zahl (vgl. z.B. Papula (2011): „Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler“, Bd. 1, Kapitel VII p. 652 ff.). In den meisten Fällen (und auch in der Vorlesung GET B) ist man aber nur an reell wertigen Lösungen für die DGL interessiert, da die gesuchten Ströme oder Spannungen reelle Größen sind. Deshalb ist es notwendig, komplexwertige Konstanten  \underline{K} anzunehmen. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass dadurch, mit bestimmten Anforderungen an die komplexen Konstanten, eine allgemeine komplexe Lösung auf eine allgemeine reelle Lösung der DGL zurückgeführt werden kann.

Der Exponentialansatz und dessen Ableitungen y'(t)=s \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} und y''(t)=s^2 \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} können nun in die homogene DGL eingesetzt werden:

 y''(t)+a \cdot y'(t)+b \cdot y(t) = s^2 \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} + a \cdot s \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} + b \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} = 0
 \Leftrightarrow (s^2 + a \cdot s + b) \cdot \underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} = 0

Diese Gleichung ist erfüllt, wenn einer der Faktoren 0 ist. Die e-Funktion kann niemals 0 sein, und der Fall \underline{K}=0 führt zu der trivialen Lösung  y=0 . Somit muss der Ausdruck in der Klammer zu Null werden. Die daraus resultierende Bedingung  s^2+a \cdot s+b=0 heißt charakteristische Gleichung und kann zum Beispiel mit der p-q-Formel aufgelöst werden:

 s_{1/2} = - \dfrac{a}{2} \pm \sqrt{\left( \dfrac{a}{2} \right)^2 - b} = -\dfrac{a}{2} \pm \dfrac{\sqrt{a^2-4b}}{2}

Die Lösungen  s_{1/2} heißen Eigenwerte. Es ergeben sich drei verschiedene Lösungsfälle:

  •  a^2-4b > 0 → Die charakteristische Gleichung hat zwei verschiedene, reelle Lösungen
  •  a^2-4b = 0 → Die charakteristische Gleichung hat zwei gleiche, reelle Lösungen
  •  a^2-4b < 0 → Die charakteristische Gleichung hat zwei zueinander konjugiert komplexe Lösungen (komplexe Lösungen treten stets als konjugiert komplexe Paare auf)

Fall 1  (a^2-4b > 0)

Die beiden voneinander verschiedenen, reellen Eigenwerte  \textstyle s_{1/2}=-\frac{a}{2} \pm \frac{\sqrt{a^2-4b}}{2} führen mit dem Exponentialansatz auch zu zwei verschiedenen reellen Lösungen der homogenen DGL:

 y_1 (t)=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s_1 \cdot t} und  y_2 (t)=K_2 \cdot \operatorname{e}^{s_2 \cdot t} mit  K_1,K_2 \in \R

Da die Exponentialfunktionen reell sind, müssen auch die Konstanten  K_1 und  K_2 reell sein, damit die resultierende allgemeine Lösung reell ist. Die beiden Lösungen  y_1 (t) und  y_2 (t) sind linear unabhängig. Deshalb gilt für die allgemeine Lösung der homogenen DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten, bei der zwei unterschiedliche reelle Eigenwerte auftreten:

 y_h (t)=y_1 (t)+y_2 (t)=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s_1 \cdot t}+K_2 \cdot \operatorname{e}^{s_2 \cdot t}

Fall 2  (a^2-4b = 0)

Da die beiden Eigenwerte  \textstyle s_{1/2}=-\frac{a}{2} gleich sind, ergibt sich aus dem Exponentialansatz nur eine Lösung:

 y_1 (t)=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s_1 \cdot t}=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s_2 \cdot t}=K_1 \cdot \operatorname{e}^{-\frac{a \cdot t}{2}} mit  K_1 \in \R

Die Exponentialfunktion ist reell, deshalb muss auch der Parameter  K_1 reell sein, da für  y_1 nur reelle Lösungen in Frage kommen. Der Exponentialansatz führt in diesem Fall aber nur zu einer Lösungsfunktion, es werden jedoch zwei linear unabhängige Lösungsfunktionen für die allgemeine Lösung benötigt. Mit dem Verfahren „Variation der Konstanten“ (Idee: Einsetzen der Lösung aus dem Exponentialansatz und Annahme einer veränderlichen Konstante  K_1 (t) ) lässt sich eine weitere unabhängige Lösung  y_2 (t)=K_2 \cdot t \cdot \operatorname{e}^{-\frac{a \cdot t}{2}} mit  K_2 \in \R finden. Dass dies tatsächlich eine Lösung der DGL ist, lässt sich durch Einsetzen in die DGL verifizieren. Die allgemeine Lösung für eine homogene DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten, bei der zwei gleiche Eigenwerte auftreten, ergibt sich damit durch:

 y_h (t)=y_1 (t)+y_2 (t)=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t}+K_2 \cdot t \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t}=K_1 \cdot \operatorname{e}^{-\frac{a \cdot t}{2}}+K_2 \cdot t \cdot \operatorname{e}^{-\frac{a \cdot t}{2}}

Fall 3  (a^2-4b < 0)

Mit den Abkürzungen  \textstyle \alpha=-\frac{a}{2} und  \textstyle 4 \cdot \omega ^2=4 \cdot b-a^2>0 (da  a^2-4b<0 ) lassen sich die Eigenwerte folgendermaßen angeben:

 s_{1/2}=\alpha \pm \frac{1}{2} \sqrt{-4 \cdot \omega ^2}=\alpha \pm \sqrt{-\omega^2}= \alpha \pm j \cdot \omega

 \alpha ist also der Realteil und  \omega der Imaginärteil der Eigenwerte. Einsetzen der Lösungen in den Exponentialansatz und addieren der beiden Ansätze liefert:

 y(t)=\underline{K_1} \cdot \operatorname{e}^{s_1 \cdot t} + \underline{K_2} \cdot \operatorname{e}^{s_2 \cdot t} = \underline{K_1} \cdot \operatorname{e}^{(\alpha +j \cdot \omega) \cdot t}+\underline{K_2} \cdot \operatorname{e}^{(\alpha -j \cdot \omega) \cdot t}

Und weiter umgeformt:

 y(t)= \underline{K_1} \cdot \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot \operatorname{e}^{j \cdot \omega \cdot t}+\underline{K_2} \cdot \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot \operatorname{e}^{-j \cdot \omega \cdot t} = \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot ( \underline{K_1} \cdot \operatorname{e}^{j \cdot \omega \cdot t} + \underline{K_2} \cdot \operatorname{e}^{-j \cdot \omega \cdot t} )

Da nur reelle Lösungen relevant sind, muss zusätzlich gelten, dass die Parameter komplex konjugiert zueinander sein müssen, also \underline{K_2}=\underline{K_1}^* . Dies wird durch Einsetzen des Zusammenhangs und Umformen unter Ausnutzung der Eulerschen Formel deutlich. Mit  \underline{K_1}=K_r+j \cdot K_i ergibt sich dann:

 y(t) = \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot ( \underline{K_1} \cdot \operatorname{e}^{j \cdot \omega \cdot t} + \underline{K_1}^* \cdot \operatorname{e}^{-j \cdot \omega \cdot t} )
 = \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot ((K_r + j \cdot K_i ) \cdot ( \cos( \omega \cdot t) + j \cdot \sin (\omega \cdot t)) + (K_r - j \cdot K_i) \cdot ( \cos (\omega \cdot t) - j \cdot \sin (\omega \cdot t)))

Ausmultiplizieren liefert:

 y(t) = \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot (2 \cdot K_r \cdot \cos (\omega \cdot t) - 2 \cdot K_i \cdot \sin (\omega \cdot t) + j \cdot (\cos (\omega \cdot t) \cdot (K_i - K_i) + \sin (\omega \cdot t) \cdot (K_r - K_r)))
 \Rightarrow y(t) = \operatorname{e}^{\alpha \cdot t} \cdot (2 \cdot K_r \cdot \cos (\omega \cdot t) - 2 \cdot K_i \cdot \sin (\omega \cdot t))
 \Rightarrow y_{h}(t) = (K_1 \cdot \cos (\omega \cdot t) + K_2 \cdot \sin (\omega \cdot t)) \cdot \operatorname{e}^{\alpha \cdot t}

Mit den Konstanten  K_1=2 \cdot \operatorname{Re}(\underline{K_1}) und  K_2=-2 \cdot \operatorname{Im}(\underline{K_1}) . Es wurden also die komplexen Konstanten \underline{K_1} und \underline{K_2} durch die reellen Konstanten  K_1 und  K_2 ausgetauscht. Damit wurde die reelle allgemeine Lösung für eine homogene DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten gefunden, bei der zwei komplexe linear unabhängige Lösungsfunktionen und zwei konjugierte komplexe Eigenwerte auftreten.

Zusammenfassung der drei Fälle

1.Fall:  \textstyle s_{1/2} = - \frac{a}{2} \pm \frac{\sqrt{a^2 - 4b}}{2} mit  \sqrt{a^2 -4b} > 0 (zwei verschiedene, reelle Eigenwerte).

Allgemeine Lösung:  y_h (t)=K_1 \cdot \operatorname{e}^{s_1 \cdot t} + K_2 \cdot \operatorname{e}^{s_2 \cdot t}

2.Fall:  \textstyle s_{1/2} = - \frac{a}{2} (zwei gleiche, reelle Eigenwerte).

Allgemeine Lösung:  y_h (t) = K_1 \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} + K_2 \cdot t \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t}

3.Fall:  s_{1/2} = \alpha \pm j \cdot \omega (zwei zueinander konjugiert komplexe Eigenwerte)

Allgemeine Lösung:  y_h (t) = (K_1 \cdot \cos (\omega \cdot t) + K_2 \cdot \sin (\omega \cdot t)) \cdot \operatorname{e}^{\alpha \cdot t}

Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung

Da nun die allgemeine Lösung der dazugehörigen homogenen DGL bekannt ist, kann eine partikuläre Lösung der inhomogenen DGL gefunden werden, um die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung zu erhalten. Diese ergibt sich dann durch Addition beider vorher gefunden Lösungen.

Für eine partikuläre Lösung der inhomogenen DGL muss gelten:

 y_p'' (t) + a \cdot y_p'(t) + b \cdot y_p(t) = g(t)

Das Finden einer partikulären Lösung wird besonders einfach, wenn  g(t) konstant ist. Dann kann für  y_p (t) ebenfalls ein konstanter Ausdruck angesetzt werden, dessen Ableitungen 0 sind. Für die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL 2. Ordnung ergibt sich dann:

 y(t) = y_h (t) + y_p (t)

Wobei sich die Form von  y_h (t) nach der Fallunterscheidung im vorherigen Abschnitt richtet.

Anpassung der allgemeinen Lösung an eine spezielle Anwendung

Die allgemeine Lösung einer DGL 2. Ordnung besitzt zwei unbestimmte Konstanten (Parameter). Durch von außen gegebene Anfangswerte ergeben sich konkrete Werte für die Konstanten. Um beide Konstanten zu bestimmen, müssen zwei Anfangsbedingungen eingearbeitet werden. Diese sind von außen vorgegeben, und werden in der Form  y(t_0 )=y_0 und  y' (t_0 )=m angegeben. Das Einsetzen liefert dann zwei Gleichungen. Sollten in beiden Gleichungen beide Konstanten  K_1 und  K_2 vorkommen, müssen Verfahren der linearen Algebra angewandt werden, um das Gleichungssystem zu lösen (z.B. Einsetzungsverfahren). Mit den bestimmten Konstanten ergibt sich dann die endgültige Lösung für die inhomogene DGL 2. Ordnung.

Zusammenfassung

Die Lösung einer inhomogenen linearen DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten erfolgt analog zur Lösung einer linearen DGL 1. Ordnung in vier Schritten:

  1. Lösen der zugehörigen homogenen linearen DGL  y''(t)+a \cdot y'(t)+b \cdot y=0 mit Hilfe des komplexen Exponentialansatzes  y(t)=\underline{K} \cdot \operatorname{e}^{s \cdot t} . Das Lösen der charakteristischen Gleichung  s^2+a \cdot s+b=0 liefert die Eigenwerte  s_{1/2} . Abhängig von der Art der Eigenwerte  s_{1/2} ergibt sich einer von drei verschiedenen allgemeinen Lösungsansätzen für  y_h (t) .
  2. Finden einer speziellen (partikulären) Lösung  y_p (t) , welche die inhomogene DGL löst.
  3. Addition der allgemeinen Lösung der homogenen DGL und der partikulären Lösung liefert die allgemeine Lösung für die inhomogene DGL:  y(t)=y_h (t)+y_p (t)
  4. Eventuelle Anfangsbedingungen  y(t_0 )=y_0 und  y' (t_0 )=m in die allgemeine Lösung, bzw. ihre Ableitung, einsetzen, um die Konstanten  K_1 und  K_2 zu bestimmen.